Verantwortungen…Schwer lasten sie oft auf unseren Schultern. Und nicht selten gehen mit vermeintlicher oder tatsächlicher Verantwortung auch Schuldgefühle einher.
In der Beratungspraxis kommt es immer wieder vor, dass wir klären dürfen, wem den nun die Verantwortung tatsächlich gehört. Manche Menschen – ich nenne sie gerne „Kümmerer“ – neigen dazu, sich um alles und jeden zu kümmern. Grund dafür ist ein tiefer Wunsch, dass es jedem gut gehen soll. Häufig vergessen sie beim Kümmern aber sich selbst und kommen so tatsächlich zu kurz. Erschöpfungszustände, Konflikte, Enttäuschungen über die Undankbarkeit der Mitmenschen oder das Nicht-geschätzt-Werden obwohl man doch so viel für die anderen tut, stellen sich nach und nach ein.
Oft ist es ein langer Leidensweg, bis Menschen mit diesem Problem in meine Praxis finden und sich helfen lassen (bzw. sich dadurch selbst helfen). Das liegt daran, dass sie der Meinung sind, sie hätten alles im Griff und die anderen bräuchten Hilfe.
Auf den ersten Blick mag dies wenig mit Verantwortlichkeiten zu tun haben. Aber schauen wir mal etwas genauer hin.
Hier ein frei zusammengestelltes Beispiel mit Aspekten aus der Praxis:
Eine Kundin (38 J) – wir nennen sie hier Rosalie – macht sich große Sorgen um die Gesundheit ihrer 65-jährigen, geistig völlig gesunden Mutter. Diese kümmert sich ihrer Ansicht nach zu wenig um ihre Gesundheit, weil sie keine Vorsorgeuntersuchungen wahrnimmt und generell nicht zum Arzt gehen möchte, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt. Rosalie, die Angst vor schweren Krankheiten hat, macht sich viele Gedanken darüber, wie sie die Mutter zur Vernunft bringen könnte, damit diese doch ihrem Wunsch nachkommt, sich untersuchen zu lassen. Sie fordert sie auf, zum Arzt zu gehen und bringt Gründe dafür vor, die ihren Wunsch als sinnvoll unterstreichen sollen. Die Mutter hört dies, es ist ihr aber selbst kein großes Anliegen, dem nachzukommen und sie macht weiterhin keine Termine aus. Dies wiederum ärgert die Tochter, weil es ihr sehr viel Energie kostet, immer für die Mutter mitzudenken, bloß weil diese „zu faul“ ist, sich selbst darum zu kümmern… Manchmal übernimmt sie dann die Aufgabe für die Mutter und macht für sie einen Termin aus.
Die Geschichte könnte weitergehen mit gegenseitigen Vorwürfen angefangen von „Misch dich nicht ein!“ bis „Ständig muss ich mich darum kümmern, dass du deine Termine einhältst.“
Was aber ist hier passiert?
Wessen Verantwortung trägt hier Rosalie?
Ist es überhaupt ihre Verantwortung?
Nein, es wäre eigentlich die Verantwortung der Mutter, sich um ihre eigene Gesundheit zu kümmern. Wie und in welchen Abständen sie Arzttermine für sich wahrnimmt ist und bleibt ihre Verantwortung. Genau genommen verhält sich Rosalie sogar etwas übergriffig, wenn sie von der Mutter verlangt, ihren Wünschen nachzukommen. Und zusätzlich verliert Rosalie wertvolle Energie, die sie für ihre eigenen Verantwortungen nutzen könnte. Es ist sehr anstrengend die eigene UND die fremde Verantwortung zu tragen und es lässt uns über kurz oder lang „ausbrennen“, wenn wir nicht gegensteuern.
Im Alltag verwenden wir gerne die Redewendung „Kehr doch vor deiner eigenen Tür!“. Sie soll uns dazu ermuntern, nur dafür Verantwortung zu übernehmen, was auch wirklich zu uns gehört. Das bedeutet aber auch, dass wir sämtliche Verantwortungen, die wir für andere übernommen haben, wieder dorthin zurückgeben sollten, wo sie hingehören. Wenn uns erst einmal bewusst ist, welche Spielchen wir in unserem Leben spielen, ist es auch ganz einfach, sie zu korrigieren.
Die Bewusstwerdung ist immer der erste Schritt.
Am einfachsten lässt sich dies im Falle der Verantwortung umsetzen, indem wir uns in einer kleinen Imaginationsübung vorstellen, dass wir die übernommene Verantwortung wie ein Paket an die „richtige“ Person zurückgeben mit den Worten „Das ist deine Verantwortung und ich gebe sie dir hiermit zurück.“
Das wars auch schon. Es geht im Grunde nur darum, bewusst etwas abzugeben, was man sich aus Versehen aufgeladen hat.
Als Sonderfall sehe ich diesbezüglich Kinder und geistig beeinträchtigte Menschen. Babys und Kleinkinder können selbstverständlich nicht selbst für sich Verantwortung tragen. Da liegt die Verantwortung bei den Eltern, PflegerInnen, PädagogInnen. Allerdings sollten wir als Eltern den Zeitpunkt nicht übersehen, die Verantwortung dem Alter und Entwicklungsstand entsprechend an die Kinder zurückzugeben, sobald sie dazu in der Lage sind, diese selbst zu tragen. Dies ist ein laufender Entwicklungsprozess, da selbstredend ein 6-jähriges Kind geringere Verantwortung für sich selbst tragen kann als eine 16-jährige Jugendliche. Ziel sollte es immer sein, eine Entwicklung zum eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Menschen zu fördern und zu ermöglichen.
Was sind deine Gedanken und Erfahrungen zum Thema „Verantwortung“? Ich lade dich ein, sie mit mir zu teilen unter office@gerlinde-oberbramberger.at. Ich freue mich, von dir zu lesen.
Herzlichen Gruß
Deine Gerlinde Oberbramberger
P.S.: Am 12.-13.06.2021 findet ihm Mühlviertel ein 2-Tages-Workshop zum Thema "Selbstfindung" statt. Mehr Infos dazu gibt's hier.
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